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Coronakrise: Versagen eines Staates

Oktober 27, 2020
Omid Rezaee
5 Minuten Lesezeit
Allein am 7. November starben im Iran 459 Menschen am Coronavirus.
Allein am 7. November starben im Iran 459 Menschen am Coronavirus.
Khamenei in den ersten Wochen des Ausbruchs: „Die feindlichen Medien würden sich eine solche Chance nicht entgehen lassen, die Menschen vom Wählen zu entmutigen.“
Khamenei in den ersten Wochen des Ausbruchs: „Die feindlichen Medien würden sich eine solche Chance nicht entgehen lassen, die Menschen vom Wählen zu entmutigen.“
„Wenn ich nicht zur Arbeit gehe, werde ich auf jeden Fall verhungern“, schrieb ein Iraner Anfang November auf Twitter
„Wenn ich nicht zur Arbeit gehe, werde ich auf jeden Fall verhungern“, schrieb ein Iraner Anfang November auf Twitter

„Seid ihr sicher, dass die Fallsterblichkeit des Coronavirus nur zwei Prozent ist?“, fragt eine Iranerin auf Twitter, „wieso sterben denn so viele Menschen in meiner Umgebung?“

Inzwischen gibt es kaum Familien im Iran, die nicht von Covid-19 betroffen sind. Am 7. November allein starben laut dem iranischen Gesundheitsministerium 459 Menschen am Coronavirus. Damit sind insgesamt über 35.000 Todesfälle im Land registriert. Doch die Zahlen sind umstritten. Insider schätzen die echten Zahlen viel höher ein. Im Interview mit einer iranischen Nachrichtenagentur am 15. Oktober schätzte Masood Mardani, Mitglied der Nationalen Coronavirus-Taskforce, die Zahlen „mehr als doppelt so hoch“ ein wie bisher angenommen.

Dem Zufall überlassen

In den ersten Wochen des weltweiten Ausbruchs des Coronavirus haben die iranischen Behörden konsequent bestritten, dass das neue Virus den Iran erreicht habe. Während mehrere Länder die Schließung der Grenzen zu China angekündigt haben, sind weiterhin Flugzeuge aus China regulär in iranischen Großstädten gelandet.

Am 25. Januar sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Iraj Harirchi in einem Fernsehinterview, die Regierung habe durch sofortige Maßnahmen die Ausbreitung des Virus im Land verhindert. Die Menschen sollten sich keine Sorgen machen, so Harirchi, sie könnten die üblichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um eine Ansteckung mit Krankheiten wie Erkältung und Grippe zu vermeiden.

Zu dieser Zeit starben nach Angaben des Direktors der Intensivstation des Kamkar-Krankenhauses in Qoms täglich Patienten mit Symptomen des Coronavirus. Das Krankenhaus besaß über keine Testkits, um die Natur der Krankheit zu überprüfen.

Während der Staat weiterhin den Ausbruch des Virus im ganzen Iran leugnete, wurde am 11. Februar ein pensionierter Lehrer, Hossein Molaei, ins Krankenhaus von Qom eingewiesen. Seinem Bruder und Oberarzt, Dr. Mohammed Molaei, haben die Mitarbeiter*innen des Krankenhauses mitgeteilt, dass sie im Januar mehrere Patient*innen beobachtet hätten, die an ähnlichen Symptomen gestorben waren.

Fünf Tage später starb Hossein Molaei. Dr. Molaei bemühte sich darum, den Leichnam seines verstorbenen Bruders auf das Coronavirus testen zu lassen. Das Ergebnis stellte sich drei Tage später als positiv heraus. Nach anhaltendem Druck von Dr. Molaei war das Gesundheitsministerium dann schließlich gezwungen, offiziell zu bestätigen, dass Hossein Molaei und ein weiterer Patient im Kamkar-Krankenhaus an Covid-19 gestorben waren.

Leugnung aus politischen Gründen

Während Menschen mit den von der Weltgesundheitsorganisation bekannt gegebenen Symptomen im Krankenhaus in Qom lagen, nahmen am 11. Februar Hunderttausende Iraner*innen an öffentlichen Feiern zum Jahrestag der Islamischen Revolution teil, die die Gefahr des Coronavirus ignorierten oder sich dessen höchstwahrscheinlich nicht bewusst waren. Saeed Namaki, Irans Gesundheitsminister, nahm auch daran teil.

Doch durch den Druck von Dr. Molaei änderte die Islamische Republik ihre Strategie: Aus Leugnung wurde Manipulation von Statistiken.

Die Krankheit sei ein Schwindel und würde die Menschen nur von der Teilnahme an den Wahlen abhalten, hieß es in staatlichen Medien des Landes. Selbst der Oberste Religionsführer sagte einige Tage nach den Wahlen: „Die feindlichen Medien würden sich eine solche Chance nicht entgehen lassen, die Menschen vom Wählen zu entmutigen.“

Nach monatelangem Leugnen führte die iranische Regierung letztendlich einige Hygiene-Maßnahmen ein, doch es hat keinen Lockdown und keine Ausgangssperre gegeben, trotz vieler Warnungen von Wissenschaftler*innen, zumindest Reisen zwischen Städten bzw. in Risikogebiete zu verbieten. „Die Quarantäne gehört in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg,“ sagte der stellvertretender Gesundheitsminister am 23. Februar, während er vor der Presse hustete und stark schwitzte. Am nächsten Tag wurde bekannt gegeben, er habe sich mit dem Coronavirus infiziert.

Manipulation der Zahlen

Nachdem mehrere Fälle von Coronavirus unter Prominenten und staatsnahen Figuren bekannt wurden, begann die iranische Regierung mit der Veröffentlichung von Daten über Infektions- und Todesfälle. Allerdings steht bis heute ein großer Teil der Bevölkerung den offiziellen Zahlen nach wie vor skeptisch gegenüber.

Am 1. August behauptete BBC Persian in einem Bericht, dass die korrekten Zahlen der Covid-19-Todesfälle im Iran etwa dreimal so hoch seien wie die offiziellen Zahlen. Laut BBC seien die ungenauen Daten weniger darauf zurückzuführen, dass die Gesundheitsbehörden nicht alle Corona-Fälle beweisen könne, sondern dass die Regierung die Zahlen bewusst heruntergespielt habe.

Über 100.000 Verstorbene

Nach der Schließung von Schulen, Universitäten und Geschäften gelang es der Regierung im Sommer, das Coronavirus und sein Ausmaß nach offiziellen Angaben zu verringern.

In den drei Monaten zwischen dem 21. Juni und dem 21. September starben nach Angaben des iranischen Gesundheitsministeriums etwa 15.000 Patient*innen am Coronavirus. Anfang November gab das Statistikamt jedoch die Gesamtzahl der Todesfälle für den gleichen Zeitraum bekannt, wonach 40.000 Menschen mehr gestorben waren.

Die BBC führt den Unterschied auf die Pandemie zurück und kommt zu dem Schluss, dass die Behauptung der Behörden, die Zahlen seien im Sommer zurückgegangen, falsch sei. Seit Beginn der Pandemie sind mehr als 100.000 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19 erkrankt, etwa dreimal mehr, als die Regierung zugibt.

Kampf ums Leben

Nur eine Woche vor Ende der Sommerferien im September konnte die Regierung immer noch nicht entscheiden, ob die Schulen wieder geöffnet werden sollten. Nach einigem Hin und Her wurde jedoch entschieden, dass der Unterricht doch noch online gehen kann. Die Unentschlossenheit und der Irrglaube der staatlichen Institutionen führten dazu, dass in der ersten Novemberwoche täglich mehr als 400 Menschen am Coronavirus starben. Am 5. November berichteten die Medien, dass innerhalb der letzten 24 Stunden 8864 Menschen infiziert wurden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Testkapazität des Landes begrenzt ist.

In Teheran werden Beschränkungen wie die Schließung des Gastronomiegewerbes zeitweilen immer wieder verlängert. In einigen Provinzen ist die Ein- und Ausreise verboten worden. Von den 31 Provinzen erließ die Regierung in der ersten Novemberwoche für 25 Provinzhauptstädte mehrere Beschränkungen. Damit versucht der Staat, in insgesamt 89 Städten das öffentliche Leben herunterzufahren. Ob ihm dies gelingen wird, bleibt jedoch offen.

Angesichts der wirtschaftlichen Situation im Land leben viele Iraner*innen von der Hand in den Mund. „Wenn ich jeden Tag mit der überfüllten U-Bahn zur Arbeit fahre, ist es wahrscheinlich, dass ich mich infiziere und am Coronavirus sterbe. Aber wenn ich nicht zur Arbeit gehe, werde ich auf jeden Fall verhungern“, schrieb ein Iraner Anfang November auf Twitter.

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